
Was uns die Evolution über die Zukunft verrät
Nach Schätzungen von Wissenschaftlern sind seit Bestehen unseres Planeten mehr als 99,9 Prozent aller auf der Erde lebenden Arten inzwischen wieder ausgestorben. Die Meisten von ihnen ereilte das Schicksal lange bevor die Menschheit die Natur zu verändern begann. Offenbar ist der Zyklus aus Leben und Tod nicht nur für jeden Einzelnen maßgeblich, sondern darüber hinaus auf allen Ebenen der belebten wie unbelebten Natur weit verbreitet. Betrachten wir als Menschheit unsere Existenz aus dieser Perspektive, müssen wir von einer hohen Wahrscheinlichkeit ausgehen, dass auch uns dieses Schicksal früher oder später erreichen wird.
Dass die Menschheit vor vielen Jahrhunderten begann, sich gegenüber der Natur zu emanzipieren, hatte nicht nur das Ziel, das eigene Leben besser zu machen, sondern auch, nachfolgenden Generationen eine bessere Zukunft und ein längeres Leben zu bieten. Auch damit sind wir nicht alleine auf der Welt, gibt es doch genügend Beispiele für Arten, die es geschafft haben, lange, teilweise sogar schon mehrere hundert Millionen Jahre, auf der Erde gelebt zu haben. Es ist eben kein Naturgesetz, sofort wieder aussterben zu müssen, sondern vielmehr eine Frage, wie wir die Zukunft in diesem Sinne für uns gestalten. Im Gegensatz zu allen vorherigen Lebewesen haben wir hierbei die Möglichkeit, unsere Umwelt analytisch zu erfassen und hieraus Schlussfolgerungen für unsere Lebensgestaltung abzuleiten. Die daraus entstehenden Chancen sollten wir nutzen.
Doch wie muss eine Zukunft aussehen, die diesen Anforderungen gerecht wird? Welche Zukunft ist die Richtige? Was für jeden Einzelnen auf einer persönlichen Ebene vielleicht noch beantwortbar ist, ist umso schwerer festzulegen, je mehr wir die Welt als Ganzes in den Blick nehmen. Denn genauso wie die Probleme, die unsere Existenz verursachen, auf globaler Ebene zu betrachten sind, müssen es auch unsere Lösungswege sein.
Als ich begann, an meinem Buch Anninarra – Die Zukunft als Möglichkeit zu arbeiten, habe ich auf diese Fragen nach Antworten gesucht – und gefunden. Wir können eine gute Zukunft erreichen, sie liegt sogar näher, als viele meinen. Dies mag angesichts der vielen negativen Schlagzeilen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden, überraschen. Immer noch bewegen wir uns in einer Kultur, die unsere Zukunft in einem schlechten Licht dastehen lässt (siehe mein Beitrag Zukunftsromane – ein Spiegel der Zeit).
Es ist jedoch nicht so, dass wir eine gute Zukunft nicht erreichen können, sondern vielmehr, dass wir uns noch nicht ausreichend genug mit ihr beschäftigt haben. Der Beitrag heute soll zeigen, wie ich zu dem Standpunkt gekommen bin, von dem aus ich mein Buch verfasst habe. Für mich ist es der einzige Standpunkt, von dem aus die Zukunft überhaupt nur betrachtet werden kann.
Verantwortung füreinander übernehmen
Der Begriff der Zukunft ist über die Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte sehr unterschiedlich besetzt worden. Seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts verbindet sich damit vor allem die Vorstellung, dass Zukunft erforschbar sei, als etwas, was wir wissen und nicht nur erahnen können. Seit einiger Zeit ist in der Zukunftsforschung jedoch klar geworden, dass es tatsächlich nicht möglich ist, die Zukunft exakt zu berechnen, da zu viele Parameter auf sie einwirken. Im wissenschaftlichen Kontext wird daher inzwischen nicht mehr von „Zukunft“, sondern von „Zukünften“ gesprochen. Es betont den offenen Charakter von dem, was vor uns liegt.
Was dies für uns bedeutet, möchte ich an einem Beispiel veranschaulichen: Stellen wir uns vor, wir würden in ein Verkehrsmittel (die Bahn, das Auto…) steigen, um sechs Stunden später ein Ziel zu erreichen, vielleicht sogar auf die Minute genau wie im Fahrplan oder Navigationsgerät angesagt. Das Vertrauen auf die Technik, die auf wissenschaftlicher Grundlage vorhersehbar und zuverlässig ihren Dienst leistet, ermöglicht es uns, diese Prognose auf die Zukunft abzugeben, im Gegensatz zu Orakeln und Wahrsagerei früherer Zeiten. Wir wissen, was passieren sollte.
Doch wie pünktlich wir tatsächlich ankommen, ist weniger eine Frage der Technik (die muss einfach nur funktionieren), sondern mehr eine Frage, wie wir uns untereinander verhalten. Wir alle haben schon erlebt, dass nur wegen einer einzigen Person hunderte und tausende Menschen haben warten mussten. Gut in die Zukunft zu kommen, ist eben auch eine gemeinsame Verantwortung, nicht nur das eigene Ich, sondern auch die Gemeinschaft aller zu sehen. Je mehr ich anderen helfe, ihre Ziele zu erreichen, desto pünktlicher werde auch ich da ankommen, wo ich hin will.
Dies ist der erste Baustein unserer Welt von morgen: Wissenschaft hilft und ist unbedingt notwendig, die Zukunft zu verstehen. Doch sie kann die Zukunft nicht exakt vorhersagen, weil sie auch davon abhängt, dass wir auch gemeinsam Verantwortung für die Zukunft übernehmen.
Gegenwart und Zukunft müssen sich ergänzen
Dass wir uns (wie in dem Beispiel oben) für eine Reise entscheiden, hat viel mit Gegenwart und Vergangenheit zu tun. Wir wollen etwas erreichen, Probleme lösen, die Zukunft besser machen. Dies gilt auch für die großen Fragestellungen der Welt, die es zu lösen gilt. Wir betrachten diese Dinge und suchen nach Lösungen. Je schneller wir sie erreichen, desto besser.
Daran ist nichts falsch. Hören wir auf, uns den Fehlentwicklungen dieser Welt entgegenzustellen, hören wir auf, Menschen zu sein. Gerade wir, die wir unter guten Lebensumständen leben, dürfen nicht in unserem Engagement nachlassen, an einer bessere Welt zu arbeiten.
Dennoch bleibt die Frage, ob sich ausgehend von diesem Engagement auch das große Ganze im gemeinsamen Interesse zu einem glücklichen Ende fügt. Anders formuliert: Können wir darauf vertrauen, dass wenn jeder sein Bestes tut und gibt, wir am Ende in einer glücklichen, gelingenden Welt ankommen werden? Noch vor einigen Jahren hätte ich diese Frage uneingeschränkt mit einem Ja beantwortet, doch inzwischen bin ich nachdenklich geworden.
Denn es gibt heutzutage so viele Ziele (und jedes Ziel hat ohne Zweifel seine Berechtigung), dass es schwer wird zu erkennen, wie sich dies alles am Ende zusammenfügt. Schlimmer noch, sind die Kräfte der Destruktion in den letzten Jahren stärker geworden, fügen ihre eigenen Ziele hinzu, die vielleicht nur eine Nuance anders sind, aber am Ende genau das Gegenteil bewirken. In dem Wirrwar der Meinungen und Behauptungen den Weg zu finden, der uns alle nach vorne bringt, ist schwerer geworden, und vielleicht macht sich das hier und da auch schon in einem nachlassendem gesellschaftlichen Engagement bemerkbar.
Mark Twain brachte einmal das berühmte Zitat, dass, nachdem sie das Ziel aus den Augen verloren, die verzweifelten Menschen ihre Anstrengungen verdoppelten. Wie schrecklich muss es sein, mit voller Kraft ins Nirgendwo zu fahren?
Manchmal fühlt sich für mich die hektische Zeit, in der wir heutzutage leben, genau so an. Jedes soziale und ökologische Engagement auf der Welt ist absolut richtig und geboten, doch betrachtet man es aus der Notwendigkeit, einen systematischen, gestützten Prozess für eine bessere Welt aufsetzen zu müssen, sind wir von einer besseren Zukunft noch weit entfernt.
Dies also ist der zweite Baustein für unsere Welt von morgen: Wenn wir eine Brücke in die Zukunft bauen wollen, dürfen wir nicht nur die Wege der Gegenwart verlängern, sondern müssen auch aus der Zukunft selber denken. Wir müssen den Leitstern finden, der uns auf dem Weg dorthin die notwendige Orientierung gibt.
Die Welt von morgen sichern
Den Fixpunkt für die Zukunft, die ich in meiner Utopie Anninarra – Die Zukunft als Möglichkeit beschreiben wollte, muss also in der Zukunft selber liegen. Wo muss die Menschheit eines Tages angekommen sein, wenn sie auf Dauer auf diesen Planeten leben will?
Denn die Reise zu fernen anderen Planeten ist keine Lösung, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, mit unserem eigenen Heimatplaneten zu recht zu kommen. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, müssen beweisen, dass wir in der Lage sind, unsere Umwelt so zu gestalten, dass wir mit ihr und uns auf lange Sicht leben können. Unsere Aufgabe muss es sein, intelligent genug zu sein, um auch im Lichte der Geschichte später einmal als intelligent bezeichnet werden zu dürfen.
Dies zu Ende gedacht bringt ein Ziel hervor, das seinerseits nur schwer zu entkräften ist. Wir können über vieles innerhalb und außerhalb unserer Welt spekulieren, doch wenn wir langfristig auf der Erde leben wollen, müssen wir nicht nur um die Ressourcen, die uns die Erde bietet, wissen, sondern auch in der Lage sein, sie vollständig zu regenerieren und gleichmäßig über alle Menschen zu verteilen.
Mit den Ressourcen vergeben wir Lebenschancen, die aktuell noch sehr ungleich über die Welt gegeben sind, Hauptursache aller Konflikte dieser Welt. Und natürlich müssen wir auch den Umgang mit der Umwelt nachhaltig gestalten und dafür sorgen, die Lebensgrundlagen, die überhaupt unsere Existenz hervorgebracht haben, auf Dauer zu erhalten. Dies also ist der dritte und zentrale Baustein für unsere Welt von morgen.
Ein Maßstab für alles
Als ich mein Buch verfasste, stand für mich außer Frage, dass dieses Ziel, sozusagen das Masterziel, zu erreichen ist, und zwar in nicht allzuferner Zukunft. Es ist klar, dass es eine gewisse Zeit dauern wird, diesen Weg zu gehen, dass zahlreiche gesellschaftlichen und politischen Systeme, in denen wir uns aktuell bewegen, dafür angepasst werden müssen. Das darf uns nicht aufhalten, noch heute damit anzufangen, denn der Weg wird lang und steinig.
Das Ziel, was ich definiert habe, ist geeignet, ein Maßstab für alles zu werden. Jede Art des Handelns, von Einzelnen genauso wie von Regierungen, kann mit diesen Maßstab betrachtet werden. Es schafft eine neue Form der Bewertung von Entscheidungen, die sich nicht mehr aus vermeintlich historischen Bezügen ableitet oder Ansprüche der Gegenwart gegeneinander relativiert, sondern die sich ganz klar der Nützlichkeit im Hinblick auf die vor uns liegenden Aufgaben unterwirft.
Vieles von dem, was wir tagtäglich in unserem gesellschaftlichen Engagement auf den Weg bringen, zahlt auf dieses Ziel, das ich definiert habe, bereits mit ein. Und doch mag es helfen, neben den wichtigen Zwischenzielen auch das finale Ziel im Auge zu behalten, kann es helfen, ehrliche von vergifteten Angeboten zu unterscheiden.
Gerne wird entgegnet, dass Menschen so sind wie sie sind, dass sie sich nicht ändern werden, und das es deswegen auch wenig Sinn macht, an eine bessere Zukunft zu glauben. Die Geschichte der Menschheit selbst spricht dagegen. Ist es nicht so, dass wir zum Beginn der Entstehung der Menschheit ganz anderen Gesetzmäßigkeiten und Zwängen unterworfen waren als heutzutage? Wie kann man dann in Frage stellen, dass es in Zukunft nicht auch so weitergehen wird? Hören wir denn gerade jetzt auf, uns weiterzuentwickeln und zu lernen?
Was den Menschen auszeichnet ist, dass wir kulturbegabte Wesen sind, deren Gemeinschaften sich sehr schnell auf neue Rahmenbedingungen einstellen können. Deswegen kann und muss es zu Recht auch die Erwartung geben, dass wir auch die vor uns liegenden Hürden bewältigen und zu einer besseren Welt kommen werden.
Fazit
Eine gute Zukunft kann gestaltet werden, wenn wir es so wollen. Wir müssen nicht den Weg vielen Millionen ausgestorbenen Arten in das Nichts folgen. Statt dessen müssen wir die Zukunft viel konsequenter aus der Perspektive betrachten, wie wir die Ressourcen der Erde auf lange Sicht für uns erhalten können. Auf diese Weise kann das von mir geschilderte Bild zu einer Art Kompass werden. Ein Kompass, der es ermöglicht, in jedem Einzelfall einzuschätzen, ob uns ein Verhalten einer besseren Zukunft näher bringt oder nicht.
Wenn wir als Menschheit auf der Erde überleben wollen, müssen wir uns früher oder später auf ein solches Bild von Zukunft verständigen. Es ist der Blick auf einen Zielpunkt, der Zugleich der Anfang von allem Neuen sein wird. Hierzu werden wir uns als Menschheit global verstehen müssen und nicht mehr nur in den Einzelinteressen von Staaten, Unternehmen oder Organisationen.
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