Auf dem Weg in die Zukunft: Die Rolle der Staaten

Überall auf der Welt scheinen aktuell die Regeln der Weltordnung aus den Fugen zu geraten. Nationalismus gewinnt an Boden, in der falschen Hoffnung, damit die Krisen der Welt lösen zu können. Der Druck, der auf den Staaten lastet, trifft nicht nur Demokratien, sondern auch die autokratischen Systeme – mit dem Unterschied, dass diese über vielfältige Formen an Unterdrückung und Propaganda verfügen, unter denen sich die Menschen nicht frei äußern können, während in Demokratien alles auf dem Silbertablett der öffentlichen Meinung präsentiert werden kann.

Betrachtet man die Welt aus der Perspektive, wohin die Zukunft uns führen muss, damit sie gelingen kann, wird deutlich, dass die Krise der Staaten ein Vorzeichen für einen tiefen Transformationsprozess ist, in dem wir nunmehr eingemündet sind. Am Ende werden sich die Machtverhältnisse auf der Welt neu geordnet haben, wobei das Verhältnis zwischen den Staaten weniger von Bedeutung sein wird als das Verhältnis der Staaten zur Weltbevölkerung insgesamt. Wenn die Zukunft gelingen soll, werden alle Staaten einen Teil ihrer Macht abgeben müssen.

In meinem utopischen Roman Anninarra – Die Zukunft als Möglichkeit greife ich dies auf: Sich aktiv einer gelingenden Zukunft zuzuwenden und die Frage zu stellen, was die Menschheit braucht, um dort gut anzukommen. Eine zentrale Fragestellung hierbei ist die Rolle und der Veränderungsprozess, den die Staaten auf diesem Weg zu durchlaufen haben.

Der Nationalstaat als Lösung?

Wie es scheint, ist aktuell an vielen Orten der Welt der Nationalismus auf dem Vormarsch. Mauern und Grenzen werden errichtet, sowohl sprachlich als auch tatsächlich, nicht nur gegenüber anderen Ländern, sondern auch gegen die eigene Bevölkerung. Wie dumm: Jede Maßnahme, die Menschen einschränkt, führt letztlich dazu, das Potential an kreativen Lösungen zu verringern, welches wir so dringend brauchen, um in eine bessere Zukunft zu gelangen. Eine Welt ohne Demokratie wird keinen Weg in die Zukunft finden können.

Viele Jahrtausende lebten die Menschen in kleinen Gruppen und stellten sich auf diese Weise den Widrigkeiten der Welt. Mit der Sesshaftwerdung ab etwa 12.000 v. Chr. änderte sich dies. Die zunehmende Arbeitsteilung machte es erforderlich, nach innen eine Ordnung zu bilden und die Gemeinschaft nach außen stärker als bisher vor möglichen Gefahren zu schützen.

Lange Zeit entwickelte sich das Zusammenleben der Menschen insbesondere in Fürstentümern und Königreichen, in denen angeblich gütige Regenten über das Wohl und Wehe ihres Volkes entschieden. Der Begriff „Staat“ wurde erstmals von dem italienischen Schriftsteller Niccolo Machiavelli im 15. Jahrhundert verwendet. Erst Ende des 18. Jahrhunderts setzte er sich auch im deutschen Sprachraum durch. Im Laufe der Zeit wandelten sie sich immer stärker zu Demokratien, die nun endgültig das Wohl des Einzelnen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellten.

Die regelbasierte Weltordnung

Die verstörenden Erfahrungen zweier Weltkriege und die katastrophalen Auswirkungen menschenverachtend-autoritär auftretender Staaten führten Mitte des letzten Jahrhunderts zu der Feststellung, dass eine von Frieden und Wohlstand geprägte Zukunft nur möglich ist, wenn die Staaten zu einer regelbasierten Weltordnung zusammenfinden. Das Leitbild dieser neuen Ordnung verwirklichte sich in den Vereinten Nationen. Was in den Zeiten des Kalten Krieges eine Balance der Mächte in der Welt sicherstellte, nahm nach dem Zerfall der Sowjetunion mehr und mehr die Aufgabe an, die globalen Herausforderungen der Menschheit insgesamt in den Blick zu nehmen und gemeinsam zu lösen.

Lange Zeit galt dieser Weg der Zusammenarbeit als das Modell, mit dem die Staaten nach und nach zu einer großen Einheit zusammenwachsen und die globalen Fragen gemeinsam lösen würden. Leider ist dies (bisher) nicht eingetreten, folgen Regierungen auf internationaler Ebene weiterhin den Interessen, die ihnen ihr eigenes Land vorgibt, so dass nationale Interessen stärker gewichtet werden als die einer Weltgemeinschaft. Sehr deutlich wird dies auf internationalen Konferenzen, in denen schier endlose Debatten um Fragen der Gerechtigkeit und des richtigen gemeinsames Weges geführt und am Ende doch nur Vereinbarungen auf einem sehr kleinen gemeinsamen Nenner geschlossen werden. Nicht nur bleiben die Ergebnisse solcher Konferenzen in der Regel weit hinter den Erwartungen zurück, auch an einer ernsthaften Umsetzung in Folge der Beschlüsse hapert es vielfach. So wurde in den letzten Jahrzehnten die Diskrepanz zwischen dem, was notwendiger Weise zu tun ist, und dem tatsächlichen Handeln der Staaten größer und nicht kleiner.

Die Krise der Staaten

Auch aus Sicht der Staaten ist diese Entwicklung keine gute, am wenigsten natürlich für die, die schon jetzt von den globalen Veränderungen am Stärksten betroffen sind. Aber auch die großen Volkswirtschaften der Welt kommen immer mehr an ihre Grenzen.

Mehr denn je sind wir in einer Zeit angekommen, in der die Herausforderungen so komplex geworden sind, dass sie von einzelnen Staaten alleine nicht mehr zu lösen sind. Nicht nur die sich verstärkende Klimakrise mit ihren immensen Zerstörungen und dem Entzug von Lebensgrundlagen, auch das stärkere Umgreifen von Gesundheitsgefahren durch Umweltverschmutzung und Infektionen, Entwicklungen wie die der Künstlichen Intelligenz und nicht zuletzt der Rohstoffhunger schaffen eine Ausgangslage, die kein Staat für sich wird bewältigen können.

Zunehmend sichtbar wird dies in einer immer höheren finanziellen Belastung und stark steigenden Staatsschulen, einer Zunahme an Regelungen und letztlich in einem Verlust der politischen Glaubwürdigkeit, weil auch nach außen hin ein Kontrollverlust zunehmend deutlich wird. Zugleich bleibt jeder Staat sich selbst der Nächste, versucht sich gegen andere abzugrenzen und so viele Vorteile wie möglich für sich auszuhandeln. In diesem Spannungsfeld gehen viele Initiativen auf internationaler Ebene, die für das Wohl der Weltgemeinschaft eigentlich zwingend erforderlich wären, verloren oder werden dermaßen verlangsamt, dass sie insgesamt wirkungslos bleiben.

Der Kampf der Demokratien

Konnte man sich früher in einem Teil der Welt zurückziehen und dort auf Kosten anderer leben, so ist dies heute nicht mehr möglich. Alles hängt mit allem zusammen. Was wir tun, hat nicht nur Auswirkungen auf andere, sondern kommt inzwischen auch wieder zu einem zurück und nötigt uns zu neuen Entscheidungen.

Dies betrifft auch die politische Leitkultur, die wir in den Staaten antreffen. War es früher möglich, Diktaturen und Menschenrechtsverletzungen relativ ungestört von der Weltöffentlichkeit vollziehen zu können, so steht man heute damit schnell im Fokus. Der Druck, der autokratische Systeme dadurch trifft, führt unter anderem dazu, sich heutzutage gerne selbst dem Schein nach demokratisch, freiheitlich und die Menschenrechte achtend zu geben, obwohl man tatsächlich genau das Gegenteil tut. Damit autoritäre Systeme ihre Macht erhalten können, müssen sie im Laufe der Zeit immer aggressiver werden, mit immer mehr Nachdruck vermeintliche Feinde erfinden, deren Bekämpfung von der Bevölkerung immer noch mehr Not und Opfer verlangen. Hinter allem zeigt sich die Angst der Regierenden, dass sich eines Tages demokratische Werte auch in ihren Gesellschaften durchsetzen könnten, mit schlimmen Folgen für sie persönlich.

Umgekehrt sind auch die demokratischen Systeme immer stärker dem Einfluss von Autokratien ausgesetzt. Lange galt die Vorstellung, dass Demokratien quasi unverletzlich sind und als politisches System jedem Angriff stand halten. Tatsächlich bergen aber gerade offene Gesellschaften eine große Angriffsfläche für Manipulationen und Beeinflussungen jeglicher Art. Soll sich in einer Demokratie eigentlich immer das beste Argument durchsetzen, so wird es schwierig, wenn Falschmeldungen diesen Diskurs zu überdecken beginnen. Während autokratische Systeme ihre Resilienz über staatliche Machtmittel herstellen können, stellt in Demokratien die Verteilung der Macht auf unterschiedliche Institutionen und der offene Diskurs einer lebendigen Zivilgesellschaft den wesentlichen Innovationsfaktor dar, der Angriffen trotzen kann. Dies ist die Kraft, die es zu nutzen gilt. Demokraten müssen sie nur immer wieder neu erfinden.

Inzwischen sind die Staaten in der wenig beneidenswerten Situation, nach innen und außen für eine immer bessere Gestaltung der Zukunft sorgen zu müssen, obwohl sie selber immer weniger Möglichkeiten dazu haben. Gegenüber übermächtigen Wirtschaftsunternehmen sowieso schon in der Junior-Rolle, müssen sie sich auch gegeneinander behaupten und zugleich die demokratischen Grundwerte in der Welt hochhalten.

Wenn inzwischen überall auf der Welt die nationalen Bewegungen erstarken, ist dies auch Folge einer Verunsicherung, die viele Menschen heutzutage in sich tragen. Intuitiv spüren sie die sich ändernden Machtverhältnisse in der Welt und geben Politkern die Schuld für etwas, was diese nicht zu verantworten haben. Diese Unsicherheit wird von Populisten nur zu gerne aufgenommen.

Sie fordern, dass alles wieder so werden soll wie früher und alte Grenzen wieder errichtet werden. Dabei wird übersehen, dass es das von ihnen ausgemalte Früher nie gegeben hat und es eine Rückkehr auch deswegen nicht geben kann, weil sich Voraussetzungen geändert haben und neue Anforderungen der Zukunft gelöst werden müssen. So wird jeder Versuch, Mauern zu errichten, zum Scheitern verurteilt sein und es nur länger dauern lassen, tatsächlich in einer guten Zukunft anzukommen.

Die jetzige Situation ist daher keine Krise der Staaten oder gar von Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Es ist eine Krise des Übergangs in ein neues Zeitalter, die wir gemeinsam zu bewältigen haben. Blicken wir in die Zukunft und fragen uns, was hier erforderlich ist, ist die Antwort sehr klar: Anstelle immer noch mehr Probleme zu verursachen, müssen wir endlich lernen, die Erde als eine Einheit zu sehen und zu verstehen.

Der Weg in die Zukunft – und welche Rolle die Staaten dabei spielen

Wichtiger denn je ist es, dass die Staaten auf internationaler Ebene ihre Verantwortung für die Welt als Ganzes wahrnehmen. Leider gibt es aber auch diejenigen, die die Unterstützung für die internationale Ordnung aktuell reduzieren oder gar einstellen wollen, vielleicht in der naiven Hoffnung, dass damit etwas zu gewinnen wäre. Je mehr Staaten aufgrund der nicht gelösten Zukunftsprobleme unter Druck geraten, desto größer kann die Zahl derer werden, die dem noch folgen werden.

Anne Appelbaum, die im Jahr 2024 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hat, spricht einen weiteren Aspekt an: Die Dominanz der globalisierten Weltwirtschaft ermöglicht es autokratischen Systemen immer mehr, mit ihrem Geld einen negativen Einfluss auf die Weltgemeinschaft auszuüben. Sie spricht von einer Achse der Autokraten, die sich immer mehr gegen die westlichen Demokratien zusammenschließen, um sich diese gefügig zu machen. Wird es also so kommen, dass in einigen Jahren nur noch wenige Großreiche nach orwellscher Manie miteinander streiten, bis die Menschheit schließlich an den selbstverschuldeten Katastrophen zugrunde gehen wird?

Auch wenn die Vorzeichen einer solchen Entwicklung sehr ernst genommen werden müssen, glaube ich nicht, dass es am Ende so kommen wird. Die Zivilgesellschaft selbst wird sich auf den Weg machen, neue Formen einer sach- und inhaltsbezogenen Kommunikation weltweit zu entwickeln, die auch die Beantwortung politischer Fragestellungen mit einschließen wird. Hierbei wird es um Instrumente gehen, die jedem Einzelnen helfen zu verstehen, wie viele Ressourcen jeder persönlich nutzen kann. Wir brauchen Verfahren, die offenlegen, wie der Preis einer Ware zustande gekommen ist und nach welchen Standards diese hergestellt wurden. Und noch vieles mehr an Anwendungen, die dem Einzelnen ohne Umstände ermöglicht, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dies zu tun wird wichtiger werden, als eine Landung auf dem Mars zu organisieren.

Mir haben diese Überlegungen geholfen, die Geschehnisse dieser Welt aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Ich verstehe nun besser, was passiert, und noch wichtiger, ich kann verstehen, was nun getan werden muss. Daher bin ich zuversichtlich, dass unsere Zukunft besser werden kann, als wir es erwarten: Zu sehr haben sich die Vorzüge der Demokratien für Wohlstand und Freiheit in der Welt verbreitet, als das dies nun auszulöschen wären. Und die Probleme der Welt werden so fundamental werden, dass sich die Menschen dafür zusammenfinden müssen, ob Regierungen dies nun wollen oder nicht. Am Ende muss ein weltweit gültiger Gesellschaftsvertrag stehen, der die Grundlage einer neuen Weltordnung darstellt, Träger von Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.

Wir können davon ausgehen, dass wenn die Menschheit auf diese Weise ihre Aufgaben löst, auch die Staaten wieder zu ihren ursprünglichen Aufgaben zurückfinden werden. Denn mit der Angleichung der Lebensverhältnisse in der Welt wird der Druck, der aktuell auf den Staaten lastet, wieder verschwinden. Die Verflechtungen zwischen den Staaten werden dann so stark werden, dass eine eigenständige Außenpolitik kaum mehr Sinn macht. Es wird schlicht keine Rolle mehr spielen, weil die Interessen der Staaten identisch geworden sind.

Staaten bekommen damit immer mehr die Möglichkeit, sich auf die Dinge zu konzentrieren, sie sie im Kern zu erfüllen haben: Die Bedürfnisse und Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Dies ist die Rolle, die sie schon lange inne haben sollten.

Fazit

Nationalismus wird die Staaten der Zukunft nicht stärker, sondern schwächer machen. Denn die Probleme, die die Welt betreffen, werden weiter zunehmen und können nur global gelöst werden. Die entscheidenden Verfahren der Zukunftssicherung werden aus der Mitte der Weltgemeinschaft entstehen. Spätestens dann werden sich die Staaten wieder auf ihre ureigensten Aufgaben zu konzentrieren: Der bestmöglichen Fürsorge für jeden Einzelnen der ihnen anvertrauten Menschen auf der Basis von Demokratie, Freiheit und Menschenrechte.

Christian Buske
Christian Buske

Ich lebe und arbeite in Schleswig-Holstein. Die täglichen negativen Schlagzeilen im Weltgeschehen und die literarische Umsetzung in Endzeitdramen und Dystopien veranlassten mich, einen Gegenentwurf zu entwickeln. Wie kann eine Welt aussehen, in der die grundlegenden Probleme der Menschheit wie Krieg, Hunger und Umweltzerstörung gelöst und ihr dauerhaftes Überleben auf der Erde gesichert wäre?